Damit der Model-Alltag nicht zum Worst Case wird
Artikel zum sex. Missbrauch im Modelbusiness (September 2020/Frank Bauer):
Die Meldungen über Vorfälle in der katholischen Kirche oder den Filmproduktionen in Hollywood haben uns erschüttert. Und jüngst überschatten sie auch das Modelbusiness: die Rede ist von sexuellen Übergriffen.
Die neusten Berichte lassen vermuten, dass gewisse organisationale oder systembedingte Strukturen auch hier ein solches Verhalten erleichtern: Meist handelt es sich um geschlossene Systeme oder intransparent arbeitende Akteure, wodurch der Blick nach innen verwehrt bleibt. Ein geschlossenes System gewissermassen. So agieren z.B. die in den Schilderungen der Opfer genannten Fotografen hinter verschlossenen Türen – also vollkommen isoliert.
Die Models, vor allem Newcomer, vertrauen sich ihren Bookern, Managern oder Fotografen an, wobei sie die Hoffnung auf eine schnelle Karriere hegen. Schliesslich sind sie Experten auf ihrem Gebiet, die professionell arbeiten, denk man. Doch an eben dieser Professionalität mangelt es, wenn ein Model Belästigung oder Übergriffe erfahren muss. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Frauen- oder Männermodel handelt: aus beiden Gruppen liegen Berichte von Opfern sexueller Gewalt vor. Leider werden Meldungen und Beschwerden darüber allzu oft verharmlost oder als Übertreibungen interpretiert. Ein fataler Fehler, denn jede sexuelle Belästigung – dabei handelt es sich noch nicht um die schwere Form eines Missbrauchs – ist eine eindeutige Überschreitung der Grenzen und eine Missachtung der individuellen Integrität der anderen Person.
Der Berufsverband für Models Fairplay fordert daher, jede Meldung oder jeglichen Verdacht auf sexuelle Belästigung in jedem Fall als Warnung zu verstehen und umgehend nachzugehen. Das jüngste Projekt wurde durch den Schweizer Modelberufsverband Fairplay initiiert. Ein Save-Room mit Experten, die sich für die Probleme der Models aus dem Alltag einsetzen. Die unabhängige Vertrauensperson, gibt dem betroffenen Model Auskunft und Unterstützung, wenn Unsicherheiten oder Irritationen in der Zusammenarbeit mit Modelagenturen oder Auftraggebern entstehen sollten.
Darüber hinaus hat der Modelverband einen Verhaltenskodex für Modelagenturen entwickelt. Dieser gilt in der Branche als Qualitätskriterium für seriöses und faires Arbeiten im Modelmanagement und definiert in seinen zehn Richtlinien verantwortungsvolles und ethisches Handeln. „Damit versteht sich der Kodex als Schutzkonzept für die Alltagspraxis der Modebranche“, erklärt Nicole Jarchow, Präsidentin des Modelberufsverbandes Fairplay. Der Verband fordere schon seit längerem konkrete Präventions- und Schutzmassnahmen von den Agenturen. Dazu zähle, dass jede und jeder seriös arbeitende Verantwortliche in der Branche um ein Minimum an Transparenz und ein Mitspracherecht seiner Models bemüht sei, so Jarchow.
Und Fairplay geht noch einen Schritt weiter: Modelmanager können mit dem Berufsverband zusammenarbeiten und sich freiwillig durch ein Fairness-Label auszeichnen lassen. Somit erhalten Branchenfremde eine Orientierungshilfe über vertrauenswürdige Modelagenturen.
Konkret fordert Fairplay die Vermeidung von Einzelsettings zum Schutz der Models. So sollte zum Beispiel ein Produktionsteam aus mindestens drei Personen unterschiedlichen Geschlechts bestehen. Das heisst, es sollte wenigstens eine Frau – beispielsweise eine Assistentin – dabei sein. Models sollten nie mit einem Produzenten, Auftraggeber oder Fotografen allein arbeiten müssen, um eine Zweierkonstellation zu vermeiden. (fb)
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