In vielen Unternehmen wird das Thema Produkthaftung immer noch beiläufig behandelt.
In vielen Unternehmen wird das Thema Produkthaftung immer noch beiläufig behandelt. Den meisten Führungskräften und Mitarbeitern ist nicht bewusst, dass dieses Thema sie persönlich konkret betrifft. Viele wissen nur rudimentär, was sich hinter dem Begriff „Produkthaftung“ verbirgt. Als diese bezeichnet man die Haftung des Herstellers für Schäden, die Dritte erleiden, weil das Produkt nicht die Sicherheit aufweist, die die Allgemeinheit berechtigterweise erwarten darf. Der Hersteller haftet für Schäden aufgrund von safety-relevanten Produktmängeln, also Mängeln, die zu Gefahr für Leib und Leben führen können. Die Definition von „erwartbarer Sicherheit“ ist dabei nicht eindeutig und immer nachlesbar, sondern hat mit den Erwartungen der Allgemeinheit – unter Berücksichtigung aller Umstände – zu tun.
Wer haftet wem gegenüber?
Nicht, wie oft vermutet, der Verkäufer, sondern der Hersteller, sowie so genannte „Quasi-Hersteller“, aber auch Lieferanten fehlerhafter Komponenten (Systeme und Subsysteme eingeschlossen) haften gegenüber allen Geschädigten. „Quasi-Hersteller“ sind entweder Inhaber von an Produkten angebrachten Marken oder tatsächlich Inverkehrbringer respektive Verkäufer von Produkten, deren tatsächliche Hersteller nicht ermittelt oder preisgegeben werden. Aber auch Dienstleister müssen in bestimmten Fällen haften. Ein Dienstleistungsunternehmen, beispielsweise ein Betreiber einer Anlage, muss die Sicherheit der Anlagenbenutzer aufrechterhalten. Um dies zu gewährleisten, wird der Betreiber einen Wartungsvertrag mit einem anderen Unternehmen abschließen sowie initiale und wiederkehrende Beratungen bzw. Schulungen hinsichtlich Betriebssicherheit und Brandschutz durchführen. Die Wartungsnachweise des externen Wartungsdienstleisters und die internen Schulungsnachweise sind im Haftungsfall – inkl. mit Personenschaden – von besonderer Evidenz, liefern sie doch einen Beitrag zur Entlastung des Eindrucks der (im Extremfall groben) Fahrlässigkeit. Da der Tatbestand der groben Fahrlässigkeit bei Personenschäden strafrechtliche Konsequenzen, geht dieses Thema jede Person im verantwortlichen Unternehmen an. Auch für Lieferanten ist das Problembewusstsein zum Thema Produkthaftung von starker Relevanz. Denn ein Unternehmen, das beispielsweise eine Schraube fertigt und ausliefert, ist haftbar, auch wenn es nicht darüber informiert ist, in welches Endprodukt die Schraube verbaut wird.
Produkthaftung kann jeden treffen
Jeder Mitarbeiter, der etwas über sicherheitsrelevante Produktmängel weiß oder Anhaltspunkte ignoriert, kann persönlich haften. Das kann klassischerweise der Ingenieur, der aktiv in der Entwicklung, oder der Produktionsmitarbeiter in der Herstellung des Produktes involviert war, aber auch der Finanz-Controller sein. Erhält letzterer beispielsweise den Auftrag einer Aufstellung über die kostenmäßigen Vor- und Nachteile eines potenziellen Produktrückrufs aufgrund von Sicherheitsmängeln, hat er die Pflicht zur Eskalation. Nimmt er diese nicht wahr, nimmt er potenziell billigend die Gefährdung von Menschenleben in Kauf. Auch ein Sachbearbeiter, der in einer Mail sicherheitsrelevante Informationen hinsichtlich zukünftig oder tatsächlich in Verkehr gebrachter Produkte mitbekommt, hat die Pflicht, diese Informationen zu eskalieren, sofern nicht offensichtlich bereits angemessene Management-Attention für den konkreten Fall besteht. Wie ein direkt am Produkt Beteiligter müsste er sich ggf. strafrechtlich verantworten.
Klartext zum Thema Strafrecht
Im Falle eines Personenschadens greift – je nach Aktenlage und Indikatoren – zusätzlich zum Zivil- das Strafrecht. Das bedeutet z.B. in Deutschland: Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zur Frage, ob und ggf. wer für einen entstandenen Personenschaden persönlich haftbar gemacht werden kann. Der verantwortliche Hersteller wird hierbei ermittelt und anschließend festgestellt, ob der so genannte „Stand der Technik“ eingehalten wurde. Ob das Produkt ausreichend genau spezifiziert, risikobetrachtet, entwickelt, getestet, vor der Freigabe bewertet, gemäß erwartbaren Standards produziert wurde, welche Tests zur Überprüfung des Produkts in der Produktion durchgeführt wurden, ob Lieferanten über sicherheitsrelevante Merkmale ausreichend informiert wurden, Freigabe- und Bemusterungsstandards eingehalten wurden, die Zuverlässigkeit der eingesetzten Messtechnik dargestellt war, etc. Der Tatbestand der groben Fahrlässigkeit ist erfüllt, wenn die Standards, die man erwartbarerweise hätte anwenden müssen, nicht angewendet wurden. Beim sogenannten „Organisationsverschulden“ – dem Fehlen erwartbarer und praktisch umsetzbar vorgegebener Standards – ist letztendlich die Geschäftsführung bzw. der Vorstand haftbar. Typische und erwartbare Standards sind Qualitätsvorausplanung (APQP, Reifegradabsicherung, etc.), Risikoanalysen nach FMEA-Methodik (Failure Mode and Effects Analysis), statistisch unterminierte Prüfprozesseignung, Normen zur funktionalen Sicherheit (z.B. ISO 26262 im Automobilsektor), Produktionsprozess- und Produktfreigaben, aktive Feldbeobachtung, Lessons Learned, Requalifikationsprüfungen, Einhaltung von Produktionsvorgaben uvm. Auch hier gilt, dass Unwissen nicht vor Strafe schützt. Ist sich die Leitung dieser bzw. anderer typischer erwartbarer Standards nicht bewusst und wurden diese nicht wirksam eingeführt, ist potenziell persönliche Haftung denkbar, obwohl sie nicht aktiv an Entwicklung oder Herstellung des betreffenden Produktes beteiligt war. Wurden jedoch dem Stand der Technik entsprechende Standards vorgegeben – und zwar auf angemessene und wirksame Weise – muss jeder Mitarbeiter diese auch anwenden oder im Nichtanwendbarkeitsfall gemäß ebenfalls einzuführender Standards eskalieren („Eskalationssystematik“ und „Whistleblower“-Regelungen).
Hilfe durch Normen
Im Qualitätsmanagement geht es um die Organisation und Festlegung von Rollen, erforderlichen Kompetenzen, Befugnissen, Verantwortlichkeiten und von Prozessen sowie deren Schnittstellen und angemessene Handhabung von Chancen und Risiken. Das Risiko von Produkthaftungsfällen kann durch eine konsequente Einhaltung von erwartbaren Normen verringert werden. Bereits im Entwicklungsprozess werden mögliche Risiken erkannt und es können so vorbeugend sichere Lösungen gefunden werden. Eine Zertifizierung bestätigt durch Dritte, dass Normen eingehalten werden – wenn auch nur stichprobenweise und teilweise stark abhängig von der „Tagesform“ der Auditoren. Das hilft im Produkthaftungsfall bei der Widerlegung von schweren Vorwürfen. Hat ein stets nach Stand der Technik handelnder Hersteller dennoch einen sicherheitsrelevanten Produktmangel verursacht, so wird die Allgemeinheit dies mit einem „Restrisiko“ akzeptieren, Schadensersatz und vor allem zukünftige Besserung erwarten und fordern, aber keine grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz unterstellen. Das bedeutet, es haftet niemand persönlich im Sinne des Strafrechts. Geschäftsleitungen, besonders die der mittelständischen Unternehmen, sollten sich, auch im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht, mit dem Thema Produkthaftung, Strafrecht sowie den Hilfestellungen, die das Qualitätsmanagement anbietet, beschäftigen. Gerade weil es keine Garantie für Fehlerfreiheit gibt, müssen Werkzeuge und Prozesse zur Risikominimierung eingeführt und konsequent aufrechterhalten werden, insbesondere bei safety-relevanten Produkten, Komponenten und Dienstleistungen. Konsequent eingehaltenes Qualitätsmanagement hilft essentiell, Risiken für Unternehmen und deren Mitarbeiter sowie Führungskräfte zu senken.
Keywords:produkthaftung, safety-relevant, strafrecht, zivilrecht